Keramik in Rheinbach

Die Stadt Rheinbach ist seit rund 150 Jahren Standort industrieller Keramikproduktion. Die Nähe zum Töpferort Adendorf -Toepferei Giertz hier wurden 1743 Kannenbäcker aus dem Westerwald angesiedelt – war sicher entscheidend daEinmachtopffür, dass sich in Rheinbach Investoren darüber Gedanken machten, wie man in dieser fast ausschließlich landwirtschaftlich geprägten Kleinstadt eine rentable Keramikproduktion entwickeln könne. Zuvor hatte sich bereits der heutige Rheinbacher Ortsteil Wormersdorf durch die Ansiedlung mehrerer Töpferfamilien aus dem benachbarten Adendorf das Töpferhandwerk etabliert. In ihren Familienbetrieben produzierten die Töpfer sowohl schlichte Töpfe und Krüge (z. B. Einmachgefäße für Sauerkraut) als auch aufwendig gestaltete Zierkannen. Die Produktionstechnik und das Dekor folgten konsequent der klassischen Westerwälder/Adendorfer Tradition. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es aber zu einem starken Einbruch bei der Nachfrage nach handwerklich hergestellter Töpferware. Preislich konnte der Handwerker mit der Industrieware nicht mehr mithalten, auch in Hinsicht der Qualität hatte die Industrie mittlerweile deutlich aufgeholt. Aus diesem Grund verloren viele Töpferhandwerker ihre Arbeit. In Wormersdorf wurde 1951 der letzte Töpferofen stillgelegt.

Die Anfänge der Keramikindustrie in der Kernstadt Rheinbach


In der Stadt Rheinbach ging man im 19. Jahrhundert bewusst einen anderen Weg aThomas2ls in Adendorf und Wormersdorf. Östlich der Stadt auf dem Gelände des heutigen Aldi-Marktes gründeten der Rheinbacher Kaufmann Edmund Thomas und der damalige Bürgermeister Ignaz Neß im Jahre 1860 eine induKrug Schardt Vor 1945striell ausgerichtete Keramikfabrik, die ohne Meister auskommen sollte. Vielmehr wurden hier ausschließlich Gesellen eingestellt. 1871 starb der Eigentümer Thomas. Ihm folgte der Töpfer Anton Feuser. In den 1890er Jahren folgte ihm Karl Tillmann. In der Folgezeit entstanden weitere Töpfereien, die zumeist industriell ausgerichtet waren. Sie entstanden im näheren Umfeld der ältesten Fabrik an der Koblenzer Str. oder im Bereich Aachener Str./Münstereifeler Str. im Westen der Stadt. Namen wie Ohrem, Kuchem, Stahl, Klein & Schardt oder Fuss & Emons sind vielen Rheinbachern noch heute ein Begriff. Wichtige Voraussetzung für das Aufblühen der Keramikindustrie war sicherlich der Anschluss Rheinbachs an das Eisenbahnnetz 1880. Jetzt wurde der regionale und überregionale Vertrieb deutlich preiswerter, zuverlässiger und schneller. Diese Firmen waren im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bedeutende Arbeitgeber in der ansonsten von Beamten- und Landwirtschaft dominierten Stadt.

Schwieriger Neuanfang

Es war eine große Leistung, nach dem Zweiten Weltkrieg die Keramikproduktion in Rheinbach wieder in Gang zu bringen. Die Fabrik der Firma Schardt und Söhne war beispielsweise zu 80 % zerstört. Zudem war zunächst die Nachfrage nach Zierkübeln und Vasen bei der Bevölkerung überhaupt nicht vorhanden. Die Menschen mussten erst ihre Grundbedürfnisse stillen, bevor sie an die Anschaffung von Gegenständen des gehobenen Bedarfs denken konnten. Nachdem Vater Georg in der Folgezeit als Mitgeschäftsleiter immer mehr zurücktrat, übernahm 1948 Rudolf Schardt die Fabrik. Die Firma hieß ab dieser Zeit Rudolf Schardt, Keramische Werke Rheinbach. Verkauft wurden die hergestellten Produkte unter dem Namen Ruscha. Um eine moderne Produktionsweise zu ermöglichen, errichtete man bereits 1952 auf dem Firmengelände einen Elektrotunnelofen. Auch bei Fuss & Emons trat 1948 eine einschneidende Veränderung ein. Josef Emons und Jean Fuss trennten sich. Das Fabrikgelände an der heutigen Keramikerstraße war schon in der Vorkriegszeit in weiser Vorahnung so angelegt, dass die Aufspaltung in zwei Firmen keine Schwierigkeiten brachte. Nun gab es 01 Luise _t _nzerin _larissaneben Ruscha die Firmen J. Emons Söhne, Keramik- und Terrakottafabrik (ES-Keramik) und die Terrakottawerkstätten Jean Fuss & Sohn K.G. Kurze Zeit später änderte letztere ihren Namen in Majolikafabrik Rheinbach Jean Fuss & Sohn um und verkaufte ihre Ware unter dem Kürzel Marei.
 

Der Boom in den 1950/ 60er Jahren

Nach der Übernahme des väterlichen Betriebs baute Rudolf Schardt eine völlig neue Kollektion auf. Die Resonanz auf die neuen Kreationen war sehr groß. Grund dafür war nicht zuletzt die Entstehung zweier deutscher Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Wurde der Bedarf nach hochwertiger Zier- und Gebrauchskeramik bis dahin vor allem durch ostdeutsche Fabriken, wie z. B. Carstens-Uffrecht, Rheinsberg gedeckt, bestand nun die Chance, den westdeutschen und westeuropäischen Markt durch qualitätsvolle Erzeugnisse aus Rheinbacher Produktion zu bedienen. Im Jahre 1951 wurde Otto Gerharz neuer Betriebsleiter bei Ruscha. Der Keramik-Ingenieur „...hatte durch die Entwicklung sämtlicher in der Folgezeit zur Anwendung gekommener Glasuren entscheidenden Anteil an der Bedeutung, die die Firma im Bereich künstlerisch gestalteter Keramik erlangte.” Inspiriert von Designs, die in den 40er Jahren außerhalb Deutschlands auf den Markt kamen, und von neuen, insbesondere in Italien entstandenen Formen, entwickelte man nun auch in der deutschen Keramikindustrie gewagtere Formen und Farbmuster. Von entscheidender Foto von links: Rudolf Schardt, Otto Gerharz, Kurt Tschörner am GardaseeBedeutung für die Formentwürfe bei Ruscha war Kurt Tschörner. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde er an der Glasfachschule in Steinschönau und an der Kunstgewerblichen Schule in Gablonz ausgebildet. Im Jahre 1948 beteiligte er sich an der Neugründung der Steinschönauer Glasfachschule in Rheinbach. Bis zu seinem Eintreten in den Ruhestand war er hier als Leiter der Abteilung Flachglasveredelung und Lehrer für Natur- und Entwurfszeichnen tätig. 1954 gestaltete Kurt Tschörner als freier Mitarbeiter ein sehr eigenwilliges Modellprogramm, das sich durch asymmetrische Formgebung auszeichnete. Er entwarf Kürbis-, Schnorchel-, Knochen- und Muschelformen, die zum Teil sehr lange im Programm der Firma Ruscha geführt wurden. Hervorzuheben ist hier der „Klassiker” Krug 313, der bis zum Schließen der Fabrik 1996 in unzähligen Dekoren produziert wurde. Seit dem Jahre 1952 war die Keramikerin Cilli Wörsdörfer bei Ruscha. Nachdem schon zuvor ihr Dekor „Kairo” sehr erfolgreich war, entwickelte und verfeinerte Cilli Wörsdörfer ein buntes, auf beigefarbenem Grund aufgemaltes Dekor, das zum Markenzeichen der Firma in den folgenden Jahren werden sollte: „Milano”. Mit diesem Erzeugnis hatte sich Ruscha einen der vorderen Plätze auf dem Keramikmarkt gesichert. Um die Mitte der 50er Jahre wurde ebenfalls eine baukeramische Abteilung in der Firma eingerichtet. Federführend bei den Entwürfen war hier Claus Kerwer. Vermutlich gegen Mitte der 1970er Jahre wurde dieserKrug 313-dekor Milano Betriebszweig aber ebenso eingestellt wie die Gartenkeramik, die neben großen Pflanzgefäßen auch Tierplastiken wie Rehe, Seelöwen oder einen Mähnenschafbock umfasste. Den Zeichen der Zeit folgend wurde 1954 auch bei Emons eine kunstkeramische Abteilung eingerichtet. Hier war der zwei Jahre zuvor in die Firma eingetretene Hans Kraemer als leitender Modelleur tätig. Er entwickelte in der Folgezeit jährlich ca. 20 bis 25 Modelle. Aufgebaut hatte die kunstkeramische Abteilung Willi Hack. Der gelernte Porzellan- und Glasmaler war seit 1954 Leiter der Malerei, in der in den 50er Jahren bis zu 18 Mitarbeiterinnen beschäftigt waren. Im Gegensatz zu Ruscha verzichtete man bei ES-Keramik auf den Druck aufwändiger Kataloge und das Schalten von Anzeigen. Willi Hack blieb bis zur Schließung der ES-Keramik 1974 der Firma treu und wechselte dann zu Marei, wo er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben tätig war. Zunächst hatte ES-Keramik mit der Serie „Kobaltblau”, eine hochwertige Porzellannachahmung in klassischer Form, großen Erfolg. Gleichzeitig wurde ein Dekor gut verkauft, das auf weißem Grund südeuropäische Landschaften und Städte in Pastelltönen zeigte. Bei den Wandtellern, die in der Engobe-Ritztechnik ausgeführt wurden, fällt die Serie „Tabubar” auf. Sie ist angelehnt an die in dieser Zeit beliebten „Paris”- und „Teenager”-Themen. Sie symbolisiert die moderne Jugend, die die biedere Nachkriegszeit und das überholte konservative Frauenbild hinter sich lässt. Mit dem Keramik-Boom der fünfziger Jahre konnte der Betrieb auch auf den modernsten technischen Stand gebracht werden. Keramikmalerin Bei RuschaModerne Elektroherdwagen ersetzten die alten Kohleöfen. 1957 trat der Schwiegersohn von Jean Fuss, Wolfgang Bruchhausen, in den Betrieb ein und übernahm später die Leitung. Nun nahm auch die Majolikafabrik Rheinbach Jean Fuss & Sohn, die ähnlich wie ES-Keramik zunächst schlicht dekorierte Blumenübertöpfe und Pflanzkeramik hergestellt hatte, immer mehr Zierkeramik in ihr Programm auf. Die Angebotspalette bei Marei lehnte sich stark an die der Firmen Ruscha und ES-Keramik an. In der Engobe-Ritztechnik wurden interessante Motive wie „Tänzerin”, „Pfau” oder „Hawaii” entworfen. In der Formgebung zeigte sich die Firma nicht so gewagt wie die beiden anderen Betriebe. Hervorzuheben sind aber die Krüge 48 und 46. Neben klassischen Dekoren wie „Italia” gab es auch die moderneren Motive wie „Kuba” oder „Trio”.
 

Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts

Mitte der 1960er Jahre waren in der Rheinbacher Keramikindustrie über 260 Arbeiter und Angestellte beschäftigt. In der Folgezeit schwand bei den Verbrauchern langsam aber stetig das Interesse an Zierkeramik. ES-Keramik schloss 1974 endgültig die Werkstore. Ruscha schaffte es aber noch einige Zeit, durch aufwändige Dekore und die typischen Wandplatten auf dem Markt für hochwertige Industriekeramik mitzuspielen. Doch 1996 musste auch diese Firma aufgeben. Heute existiereOtto-keramikn noch zwei Keramikbetriebe, die sich auf unterschiedliche Produkte spezialisiert haben. Otto Gerharz fand mit seiner otto-Keramik eine Nische in der eher künstlerisch-handwerklichen Keramik. Marei baute die automatisierte Übertopfproduktion immer weiter aus. 1970 wurden hier bereits täglich bis zu 6.000 Übertöpfe produziert. Heute verlassen bis zu 30.000 Töpfe täglich die beiden vorhandenen Öfen. Eine Sammlung von Keramikobjekten aus Rheinbacher Produktion (z. Zt. rd. 450 Objekte) wird vom Stadtarchiv verwaltet. Hier findet sich dazu auch eine Materialsammlung  mit Fotos, Katalogen und anderen Geschäftsunterlagen.
 

Quellen:
Dietmar Pertz: Keramik in der Stadt Rheinbach (=Beiträge zur Geschichte der Stadt Rheinbach – kleine Reihe Nr. 11, Rheinbach 2005.
Dietmar Pertz: Die Wormersdorfer Kannenbäcker, in: Wormersdorf 1175 Jahre -Festschrift-, Rheinbach 2007, S. 60 - 65.